Der Übermensch

 

 

Diese Diktatoren haben bemerkenswert wenige Ideen: Nimm zum Beispiel Hitler, er glaubt, dass 

 

1. Die Deutschen das beste Volk in der Welt sind,

2. Hitler der Führer sein sollte,

3. Alle Juden böse Personen sind,

4. Alle Leute in der Welt Nazis sein müssen.

 

Ich verstehe nicht, wie die Menschheit unter solchen Bedingungen voranschreiten kann. 

 

Sri Aurobindo am 6. Januar 1939

 

 

 

Noch immer haftet dem Begriff "Übermensch" ein negativer Beigeschmack an. Hat unsere Geschichte doch gezeigt, wie leicht sich dieser Anspruch auf perverse Weise in seine Schattenseite verkehren lässt und in der Lage ist, die Werte einer ganzen Nation zu korrumpieren. In einem Gespräch mit Hermann Rauschnig hatte Hitler in scheinbarer Verzückung triumphierend ausgerufen: 

"Der neue Mensch lebt unter uns. Er ist da! Genügt Ihnen das? Ich sage ein Geheimnis. Ich sah den neuen Menschen, furchtlos und grausam. Ich erschrak vor ihm." (Der „neue Mensch“ im Denken Hitlers: Hermann Rauschning; 1933 Senatspräsident von Danzig und zur engeren Umgebung von Hitler gehörend.) 

Hitlers Übermensch hatte etwas Grausames, wie er selbst. Bei ihm obsiegte die Kraft der vitalen menschlichen Natur über die Humanität, die er als Schwäche erachtete. So schrieb er in "Mein Kampf": "Am Ende siegt nur die Sucht der Selbsterhaltung. Die sogenannte Humanität schmilzt wie Schnee an der Märzensonne. Im ewigen Kampfe ist die Menschheit groß geworden – im ewigen Frieden geht sie zugrunde."

Das Recht des Stärkeren war für ihn gottgegebenes Naturgesetzt, nur welchen Gottes? Er war ein Besessener, manipuliert und gelenkt durch die Einflüsterungen des Luziferischen, und wenn er dadurch sein gewaltsames Handeln rechtfertigte, hatte er bereits jede Hemmschwelle der Moral überschritten: " ... derjenige, der in dieser Welt des ewigen Kampfes nicht kämpfen will, verdient nicht, am Leben zu sein. Auch, wenn das hart wäre: es ist das Gesetz des Lebens. Der Sieg liegt immer im Angriff. " 

"Eine Kreatur trinkt das Blut der anderen. Der Tod der einen nährt die andere. Man sollte nicht über menschliche Gefühle stolpern ... der Kampf geht weiter."  (Hitler, zit. nach Orzechowski Peter: Schwarze Magie – Braune Macht)

 

Kampf gegen die Mitmenschen [nicht gemeint ist hier der Kampf gegen die eigene niedere Natur] ist eine Position des Egos, das sich als getrennt erfährt von allem, was es umgibt, und danach strebt, besser, stärker, reiner, "heiliger" zu sein als alle anderen. Ihm liegt nichts am Gemeinschaftssinn, am Wachstum der anderen, an der menschlichen Einheit, am Miteinander –, solange es nicht zu seinem persönlichen Nutzen und Vorteil ist. 

Was die sogenannten Naturgesetze betrifft, so sind sie so alt wie die Entstehung der Erde selbst und bestimmen seither in jeder neuen Inkarnation unser Leben. Doch im integralen Yoga, in der Zukunft des Menschen, geht es darum, über diese Naturgesetze hinauszuwachsen und sich mit Gottes Hilfe zu erheben in ein höheres menschliches Sein, das nicht mehr den Naturgesetzen, sondern allein den göttlichen Gesetzen folgt. Zugleich kann man vieles in unserer Welt heute zurecht als denaturiert, unnatürlich und lebensfeindlich deklarieren, und vielleicht sollten wir in mancher Hinsicht zunächst und vorübergehend wieder einen Schritt zurück tun zu einer natürlicheren Lebensweise, wie zum Beispiel auf dem Gebiet der Heilkunde oder der natürlichen Geschlechtervergabe als Mann und Frau. 

 

Die Natur ist infrarational. Die Naturgesetze sind infrarationale Gesetze. Wenn dir also Leute sagen, `Aber was willst du, das ist ein Naturgesetz’, muss ich lachen. Dann ist es nicht wert, ein Mensch zu sein – besser wärst du ein Affe oder ein Elefant oder ein Löwe. Die Naturgesetze sind infrarational. Die einzige Überlegenheit des Menschen besteht darin, dass er die Vernunft hat, und wenn er sie nicht benutzt, wird er absolut ein Tier. Das ist die letztmögliche Entschuldigung: `Was willst du, das ist ein Naturgesetz.’

Wir wissen, dass die Natur eine Kraft, ein Bewusstsein oder ein Wesen ist, – nenne es, wie du willst  –, das absolut unmoralisch ist, für welches das moralische Empfinden überhaupt nicht existiert. In der Praxis sind die Ergebnisse recht verhängnisvoll. Wenn das Gesetz der Natur allein regiert, wie z.B. im Pflanzenreich – vom Tierreich ganz zu schweigen – gibt es ein ständiges Massaker zwischen den Pflanzen in einem dauernden Kampf ums Dasein.

 

Die Mutter

 

 

Uns wurde der Verstand gegeben, ein Mental, das fähig ist zu einer differenzierten Betrachtungsweise, das die vitalen Impulse in uns im Zuge der Selbsterkenntnis identifizieren, disziplinieren und überwinden kann. Auch, wenn wir in diesen Tagen andererseits an den Rand der Möglichkeiten eben dieser mentalen Intelligenz gestoßen sind und jetzt lernen müssen, darüberhinaus zu gehen in die höheren mentalen Bereiche der Intuition, des Übergeistes und des Supramentals, um uns nicht mit Hilfe all unserer Errungenschaften selbst zu zerstören, so wurde uns das Mental nicht ohne Grund als Werkzeug gegeben, um mit seiner Hilfe aktiv an unserer Vergöttlichung mitzuarbeiten. Die Frucht vom Baum der Erkenntnis mag aus unserer Sicht ein bedauerlicher Unfall gewesen sein, weil wir die höhere Absicht Gottes dahinter noch nicht erkennen. Wie Sri Aurobindo und die Mutter jedoch anmerkten, wird die Verwirklichung unseres göttlichen Seins dadurch wesentlich vollkommener sein.

 

 

 

 Die Natur ist nur ein beschränkter Ausdruck des Göttlichen, während der Mensch dazu geschaffen ist, bewusster Ausdruck des Göttlichen zu werden, mit allem, was dies an Möglichkeiten der Macht und des Lichtes mit sich bringt. 

 

Die Mutter

 

 

 

Der Übermensch nach Nietzsche und seine Pervertierung im Nationalsozialismus

 

 

Auszug aus "Das göttliche Leben" von Sri Aurobindo, das zwischen 2014 und 2019 in seiner Monatszeitschrift Arya erschien:

 

Ein Leben gnostischer Wesen, welche die Evolution zu einem höheren supramentalen Status weitertragen, könnte angemessen als göttliches Leben charakterisiert werden; denn es wäre ein Leben im göttlichen Sein, ein Leben spirituellen göttlichen Lichtes, Kraft und Freude, das begönne, sich in der materiellen Natur zu manifestieren. Es könnte als ein Leben spirituellen und supramentalen Übermenschentums beschrieben werden, da es die mentale menschliche Ebene übersteigt. Es darf aber nicht mit vergangenen und gegenwärtigen Ideen vom Übermenschentum verwechselt werden, denn in der mentalen Idee besteht das Übermenschentum darin, die normale menschliche Ebene zu übersteigen, nicht qualitativ sondern quantitativ, durch eine erweiterte Persönlichkeit, ein vergrößertes und übertriebenes Ego, verstärkte Geisteskraft, Vitalkraft, eine verfeinerte oder dichte und massive Übertreibung der Kräfte menschlicher Unwissenheit; sie beinhaltet auch gewöhnlich die Idee einer gewaltsamen Beherrschung der Menschheit durch den Übermenschen.

Dies bedeutete ein Übermenschentum à la Nietzsche, schlimmstenfalls könnte es die Herrschaft der `blonden Bestie’ oder der dunklen oder jedweder Bestie bedeuten, eine Rückkehr zu barbarischer Stärke, Gnadenlosigkeit und Kraft: das aber wäre keine Evolution, sondern eine Rückkehr zu einem alten, heftigen Barbarentum. Oder es könnte die Heraufkunft des Rakshasa oder Asuras aus einem angestrengten Bemühen der Menschheit bedeuten, sich zu übertreffen und zu transzendieren, aber in der falschen Richtung. Ein gewalttätiges und turbulentes, übertriebenes vitales Ego, das sich mit einer höchsten tyrannischen oder anarchischen Kraft der Selbsterfüllung befriedigte, wäre der Typ des rakshasischen Übermenschentums: aber der Gigant, der Menschenfresser oder Weltverschlinger, der Rakshasa, gehört geistig zur Vergangenheit, obwohl er noch überlebt; ein stärkeres Hervortreten dieses Typus wäre auch rückwärts gerichtete Evolution. Eine mächtige Darbietung überwältigender Kraft, eine selbstbeherrschte, selbstgetragene, eventuell sogar asketisch bezähmte Geistes- und Lebenskraft, stark, ruhig oder kalt oder furchtbar in gesammelter Heftigkeit, subtil, dominant, eine Sublimierung zugleich des mentalen und vitalen Egos, ist der Typ des Asuras. Aber davon hat die Erde in ihrer Vergangenheit genug gehabt und seine Fortdauer kann nur die alten Linien verlängern; vom Titanen, vom Asura kann sie für ihre Zukunft keinen wirklichen Nutzen ziehen, keine Kraft, sich selbst zu überwinden: selbst eine grosse oder außergewöhnliche Kraft darin könnte sie nur auf größere Kreise ihres alten Orbit führen.

 

Etwas viel Schwierigeres und viel Einfacheres hat zu entstehen; ein selbst verwirklichtes Wesen, ein Erbauen des spirituellen Selbstes, eine Intensität und ein Drängen der Seele, die Befreiung und Souveränität ihres Lichtes, ihrer Kraft und ihrer Schönheit – kein egoistisches Übermenschentum, das nach der geistigen und vitalen Beherrschung der Menschheit greift, sondern die Souveränität des Spirit über seine eigenen Instrumente, im Besitz seiner selbst und des Lebens in der Kraft des Spirit, ein neues Bewusstsein, in welchem die Menschheit ihre eigene Selbsttranszendenz und Selbsterfüllung durch die Enthüllung der Göttlichkeit, die in ihr nach der Geburt strebt, entdeckt. Das allein ist wahres Übermenschentum und die einzige wirkliche Möglichkeit, in der evolutionären Natur einen Schritt vorwärts zu tun.

Jeder Versuch, den mentalen Menschen übermäßig zu erhöhen oder den vitalen übermäßig zu übertreiben, – ein Nietzschesches Übermenschentum z.B. – kann das menschliche Geschöpf nur vergrößern, nicht aber transformieren oder vergöttlichen. Eine andere Möglichkeit eröffnet sich, wenn wir innen, im inneren Wesen leben können, und es zum direkten Regenten des Lebens machen, oder unsere Position auf den spirituellen und intuitiven Ebenen des Wesens einnehmen und von dort aus und mit ihrer Kraft unsere Natur verwandeln.

 

Ein indisches Denksystem wie die Gita wird fast stets die Entwicklung des Individuums an die erste Stelle setzen, die größte Notwendigkeit eines Individuums, seinen Anspruch, seine größte spirituelle Freiheit, Größe, Pracht, Königtum zu entdecken und auszuüben, – sein Ziel, sich in den erleuchteten Seher und König, im spirituellen Sinne von Seher- und Königtum zu entwickeln, welches die erste Charta idealer Menschheit war, welche die alten vedischen Weisen verkündeten. Ihr Ziel für das Individuum war es, über sich selbst hinauszuwachsen, nicht indem es all seine persönlichen Ziele in den Zielen einer organisierten menschlichen Gesellschaft verliert, sondern indem es sich erweitert, erhöht, vergrößert in das Bewusstsein der Gottheit. Die Regel, die die Gita hier gibt, gilt für den Meistermenschen, den Übermenschen, das vergöttlichte menschliche Wesen, den Besten, nicht im Sinne eines Nietzscheschen, einseitigen und schiefen, olympischen, apollinischen oder dionysischen, engelsgleichen oder dämonischen Übermenschentums, sondern im Sinne des Menschen, dessen ganze Persönlichkeit in das Wesen, die Natur und das Bewusstsein der einen transzendenten und universalen Gottheit aufgeopfert wurde und der durch den Verlust des kleineren Selbstes sein größeres Selbst gefunden hat, vergöttlicht wurde.

 

 

 

Das wahre Übermenschentum nach Sri Aurobindo

 

Das Ideal des Übermenschen wurde neulich sehr ins Bewusstsein gehoben, in eine nicht sehr fruchtbare Diskussion und viel Verleumdung. Die durchschnittliche Menschheit steht ihm kritisch gegenüber, weil den Menschen gesagt wird oder sie den heimlichen Verdacht haben, dass es hier einen Anspruch der Wenigen gibt, zu Höhen emporzusteigen, deren die Vielen nicht fähig sind, moralische und spirituelle Privilegien zu konzentrieren, Herrschaft, Kräfte und Immunitäten zu genießen, die einer in der Menschheit verbreiteten Würde und Freiheit schädlich sind. So gesehen ist Übermenschentum nichts anderes, als eine Vergöttlichung des seltenen oder einsamen Egos, das andere in der Kraft unserer gemeinsamen menschlichen Qualitäten übertroffen hat. Aber diese Darstellung ist eng und verzerrt.

Das Evangelium wahren Übermenschentums gibt uns für die sich entwickelnde menschliche Rasse ein großzügiges Ideal und sollte nicht in einen arroganten Anspruch für eine Klasse oder Individuen verkehrt werden. Es ist ein Aufruf an den Menschen, zu vollbringen, was noch keine Art in der irdischen Geschichte getan oder zu tun erstrebt hat, sich selbst bewusst in den nächsthöheren Typus zu entwickeln, der in der ständigen zyklischen Entwicklung der Welt-Idee im fruchtbaren Sinnen der Natur bereits halb vorhergesehen wurde. Und wenn wir sie so betrachten, gehört diese Vorstellung gewiss zu den verheißungsvollsten Keimen, welche das Denken in die Erde unseres menschlichen Wachstums gesenkt hat.

 

Nietzsche hat ihn zuerst eingesenkt, dieser Mystiker der Willensanbetung, dieser verwirrte, tiefe, halberleuchtete hellenisierende Slave mit seinen sonderbaren Klarheiten, heftigen Halbheiten und seinen seltenen glimmernden Intuitionen, die mit dem Stempel absoluter Wahrheit und lichtvoller Herrschaft versehen kamen. Nietzsche aber war ein Apostel, der seine eigene Botschaft nie ganz verstand. Sein prophetischer Stil glich dem der Delphischen Orakel, die stets das Wort der Wahrheit sprachen, es aber im Geist der Hörer in Unwahrheit verwandelten. Aber nicht immer; denn manchmal erhob er sich über sein persönliches Temperament und seinen individuellen Geist, sein europäisches Erbe und seine Umgebung, seine Revolte gegen die Christusidee, seinen Krieg gegen die geläufigen moralischen Werte und sprach das Wort, wie er es gehört hatte, die Wahrheit, wie er sie gesehen hatte, bloß, leuchtend, unpersönlich und daher fleckenlos und unvergänglich. Aber meistens wurde diese Botschaft, die sein inneres Ohr aus ferner Unendlichkeit vibrierend wie eine Melodie von der Leier weit entfernter Götter erreicht hatte, bei seinem Bemühen, sie zu erfassen und sich näher zu bringen, mit einem etwas turbulenten Ansturm verwandter Ideen vermischt, der viel von der reinen ursprünglichen Note verwischte.

Vor allem wurde sein Geist von Anfang an hinsichtlich der Vorstellung vom Übermenschen nie von einer Verwirrung gereinigt. Denn wenn eine Art menschlicher Gottheit das Ziel ist, zu dem die Rasse voranschreiten soll, ist es zunächst einmal schwierig, entscheiden zu müssen, welcher Art von zwei sehr verschiedenen Göttlichkeiten diese Idee in uns zugehören sollte. Denn die Gottheit in uns kann uns sowohl mit ihrem hellen, frohen und strahlenden Antlitz konfrontieren, als auch mit der strengen zuckenden Fratze des Titanen. Nietzsche besang den Olympier, stellte ihn aber unter dem Aspekt des Asura dar. Seine feindliche Voreingenommenheit gegen die Christusidee des gekreuzigten Gottes und deren Konsequenzen waren möglicherweise für diese Entstellung ebenso verantwortlich wie seine Verpflichtung den unvollkommenen Ideen der Griechen gegenüber. Er stellt uns einen Übermenschen vor, der wild und arrogant die Last des Kummers und Dienens zurückweist, nicht einen, der sich siegreich über Sterblichkeit und Leiden erhebt, in seinem Aufstieg mit dem Triumphgesang einer befreiten Menschheit schwingend. Dass er die Verbindung mit der moralischen Entwicklung der Natur verliert, ist ein Hauptfehler im Apostel des Übermenschentums; denn dies kann nur aus der unvermeidlichen Linie der Evolution im Busen einer Menschheit entstehen, die durch das Feuer egoistischen und altruistischen Leidens lange geprüft, reif gemacht und gereinigt wurde.

Gott und Titan, Deva und Asura sind trotz ihrer Unterschiede tatsächlich nahe verwandt; auch konnte keiner in der Evolution ausgelassen werden. Aber sie bewohnen entgegengesetzte Pole eines gemeinsamen Seins und einer gemeinsamen Natur. Der Eine steigt aus Licht und Unendlichkeit zufrieden ins Spiel hinab; der Andere steigt aus Finsternis und Unklarheit zornig zum Kampf empor. Alle Taten des Gottes kommen aus dem Universellen und zielen aufs Universelle. Er wurde aus einer siegreichen Harmonie geboren. Seine Qualitäten reichen sich reine und anmutige Hände und verbinden sich natürlich und froh wie die Runde der Hirten in Brindavan, wo Krischna ihre vollkommenen Kreise beherrscht und zusammenhält. Sich im Sinne des Gottes zu entwickeln heißt, in Intuition, Licht, Freude, Liebe, glücklicher Meisterschaft zu wachsen; durch Herrschen dienen und Dienen herrschen; kühn und schnell und sogar heftig sein zu können ohne zu verletzen, ohne Bosheit, und mild und freundlich und sogar nachsichtig ohne Laschheit oder Laster oder Schwäche; sich selbst – und durch Sympathie zusammen mit der Menschheit und allen Geschöpfen – zu einem hellen und glücklichen Ganzen zu formen. Und letztlich heißt das, eine große unpersönliche Persönlichkeit zu entwickeln und Sympathie in beständiger Erfahrung der Einheit der Welt auszuweiten. Denn so sind die Götter: stets ihrer Universalität bewusst und daher göttlich.

Gewiss, Macht gehört dazu. Der göttliche Mensch sein heißt, sich selbst und die Welt beherrschen, aber nicht im äußeren Sinn. Es ist eine Herrschaft, die auf einer geheimen Sympathie und Einheit beruht, welche das Seinsgesetz eines Anderen und der Welt kennt und ihm hilft – oder ihn notfalls zwingt –, seine eigenen größten Möglichkeiten zu verwirklichen, aber durch einen göttlichen und wesentlich inneren Zwang. Es heißt, alle Qualitäten, Energien, Freuden, alles Leiden, alle Gedanken, alles Wissen, alle Hoffnungen und Ziele der Welt um uns herum in uns selbst hineinzunehmen und sie, bereichert und verwandelt, in sublimem Austausch und sublimer Ausnutzung zurückzugeben.

 

Eine solche Herrschaft braucht kein vulgäres Gepränge oder goldene Dekorationen. Die Götter arbeiten meistens durch Licht oder Sturmgebraus verhüllt; sie verschmähen nicht, im Gewande des Hirten oder Handwerkers selbst unter den Menschen zu leben; sie schrecken auch nicht vor Kreuz und Dornenkrone bei ihrer inneren Entwicklung oder ihrem äußeren Geschick zurück. Denn sie wissen, dass das Ego gekreuzigt werden muss, und wie werden die Menschen dem zustimmen, wenn Gott und die Götter ihnen nicht den Weg gezeigt haben? Alles aufzugreifen, was im menschlichen Wesen wesentlich ist, es zu seiner Absolutheit erheben, damit es ein Element des Lichtes, der Freude, der Macht für sich und andere werden kann, ist Göttlichkeit. Dies sollte auch der Antrieb des Übermenschentums sein.

 

Der Titan aber will nichts von alledem; es ist zu groß und zu sublim für sein Verständnis. Seine Instinkte verlangen nach sichtbarer, fühlbarer Meisterschaft und sinnlicher Beherrschung. Wie kann er seiner Herrschaft sicher sein, solange er nicht etwas hilflos sich unter seinem Tritt winden sieht – am besten im Todeskampf? Was bedeutet Ausbeutung für ihn, wenn nicht die Minderung des Ausgebeuteten? Zum Zwingen, Fordern, Töten fähig sein, offen, unwiderstehlich – nur das erfüllt ihn mit dem Gefühl von Glanz und Herrschaft. Denn er ist der Sohn der Teilung und des starken Erblühens des Ego. Um sich als unermesslich vorstellen zu können, muss er die vergleichsweise Begrenztheit Anderer spüren; denn er besitzt nicht die selbstexistierende Wahrnehmung der Unendlichkeit, die kein äußerer Umstand beeinträchtigen kann. Gegensatz, Teilung, Verneinung des Willens und Lebens Anderer sind wesentlich für seine Selbstentwicklung und Selbstbehauptung. Der Titan pflegt durch Verschlingen zu einen, nicht durch Harmonisieren; was nicht er selbst ist, muss erobert und entweder aus dem Dasein oder in Knechtschaft getrampelt werden, damit sein eigenes Bild allen Dingen aufgeprägt und seine ganze Umgebung beherrschend hervortreten kann.

Da Natur in Teilung und Egoismus begann, musste der Titan zuerst kommen; er ist hier in uns als der ältere Gott, der erste Regent des Himmels und der Erde des Menschen. Dann kommt der Gott, befreit und harmonisiert. So erzählt uns die alte Legende, dass Deva und Asura gemeinsam daran arbeiteten, den Lebensozean für den höchsten Trunk der Unsterblichkeit zu quirlen, aber – sobald er einmal gewonnen war – behielt ihn Vischnu dem Gotte vor und betrog den wilderen und heftigeren Arbeiter. Und das erscheint ungerecht; denn der Asura trägt den schwereren und undankbareren Teil der Last. Er fängt an und führt; er geht seinen Weg, hauend, formend, pflanzend: der Gott folgt, verbessert, beendet und erntet. Er bereitet ungestüm und angstvoll gegen tausend Hindernisse die Kraft vor, die wir nutzen werden: der Andere genießt den Sieg und die Freude. Und daher ist der befleckte und stürmische Titan dem großen Gott Schiwa sehr lieb, Schiwa, der das zuerst aus dem Lebensozean gequirlte heftige, dunkle und bittere Gift für sich nahm und den Nektar Anderen überließ. Aber die Wahl, die Schiwa wissentlich und aus Liebe traf, vollzog der Titan aus Finsternis und Leidenschaft, etwas wirklich ganz Anderes begehrend und von seinem stürmischen Egoismus getäuscht. Daher gilt Wischnus Lohn; dem Gott werden Krone und Unsterblichkeit zufallen, nicht dem stolzen, energischen Asura – es sei denn, er vergöttliche sich.

 

 

Der endgültige und letzte Sieg wird in uns selbst errungen. Wenn schon durch Kampf, dann gilt es, unsere inneren Dämonen zu besiegen, die uns immer noch einflüstern, nur durch sich behaupten gegenüber Anderen könne der höchste Preis der Menschheit errungen werden. 

Es geht nicht darum, sich selbst zu erhöhen und über andere zu stellen, weder als Einzelner, noch als Gruppe oder Gemeinschaft, noch als Familie, noch als Nation. Es geht darum, sich als unverzichtbarer, individueller Bestandteil eines größeren Ganzen zu begreifen und Seite an Seite und in Interaktion mit den Mitmenschen – denen dasselbe Recht zukommt –, der göttlichen Verwirklichung entgegenzuschreiten. Bestenfalls sollten wir einander hilfreich die Hand reichend in dem Bemühen, über die eigenen Begrenzungen der irdischen Natur hinauszuwachsen; durch die Akzeptanz einer höheren Wahrheit als der unseres gewöhnlichen Geistes, eine Wahrheit, in der wir uns alle treffen.   

 

 

 

 

Ich versichere dir, wenn jemand nicht von neuem geboren wird,

kann er das Reich Gottes nicht einmal sehen.

 

Jesus Christus

Joh. 3:3 auch 5, 6 u. 2. Kor.5:12

 

 

 

 

 

Was den immer wieder pervertierten Begriff des `Ariers´ als elitäres Rassenmerkmal angeht, so sollten Sri Aurobindos Darlegungen helfen, Missverständnisse in der Deutung endgültig aus dem Weg zu räumen. 

Im Juni 1914 beschlossen Sri Aurobindo und Paul und Mirra Richard (die Mutter), eine Zeitschrift für die Verbreitung von Sri Aurobindos Ideen herauszugeben. Sie sollte den Namen „Arya“ tragen. 

Er selbst schrieb dazu: „Was meinen Anteil betrifft, wird diese Zeitschrift die intellektuelle Seite meiner Arbeit vor der Welt vertreten.“

Zahlreiche Schriften wurden dort veröffentlicht wie Essays über die Veden, die Upanishaden, vergleichende Linguistik und viele andere Themen. Die erste Ausgabe davon erschien am 15.August 1914, Aurobindos zweiundvierzigstem Geburtstag.

 

 

Was ist ein Arier nach Sri Aurobindo? 

 

Das ist „jeder, der das Feld kultiviert, sein Land der inneren und äußeren Fülle, das der höchste Geist für ihn bereit hält, und der es nicht unfruchtbar oder durch Unkraut überwuchert liegen lässt, sondern sich bemüht, den höchstmöglichen Ertrag zu erbringen“.

Im  ursprünglichen Sanskrit haben die Wörter „Arier“ oder „arisch“ keinerlei rassistische Bedeutung. Sri Aurobindo wusste das und gab deshalb in der ersten Ausgabe der Arya folgende Beschreibung ab: 

 

„Arier ist der, der danach strebt, alles zu überwinden, was sich gegen den menschlichen Fortschritt stellt, in ihm selbst und draußen ... Selbstvervollkommnung ist das Ziel seiner Selbstüberwindung. Darum zerstört er nicht, was er überwindet, er veredelt es und bringt es zur Erfüllung. Er weiß, dass der Körper, das Leben und das mentale Bewusstsein ihm gegeben wurden, um etwas Höheres daraus zu machen; sie müssen darum überwunden und transformiert, ihre Grenzen erweitert und die Sorge um ihre Befriedigung zurückgewiesen werden ... 

Der Arier ist ein Arbeiter und Kämpfer. Er scheut keine Arbeit des Geistes und des Körpers, um das Allerhöchste zu suchen und ihm zu dienen. Er geht keiner Schwierigkeit aus dem Weg, er hält nicht inne in seinem Bemühen. Er ficht für die Ankunft des Königreichs in sich selber und in der Welt.“

 

Ein Arier ist also schlichtweg ein aufrichtig spirituell strebender Mensch und keine Angelegenheit des Blutes und der Zugehörigkeit zu einer auserwählten Herrschaftsrasse innerhalb des Menschgeschlechts, das dieser das Recht verleiht, sich über alle anderen Menschen zu erheben und ihnen gewaltsam die eigenen Ideologien aufzuzwängen.  

 

 

Erstens: Der Mensch trägt in sich vollkommene Kraft, vollkommene Weisheit und vollkommenes Wissen, und wenn er sie besitzen will, muss er sie in den Tiefen seines Wesens durch Innenschau und Konzentration entdecken.

 

Zweitens: Diese göttlichen Qualitäten sind im Zentrum, im Herzen aller Wesen identisch. Das bedeutet die wesentliche Einheit aller, mit allen Konsequenzen der Solidarität und Fraternität, die daraus folgen.

 

Das bestmögliche Beispiel würde in der unvermischten Heiterkeit und im unwandelbar friedlichen Glück bestehen, das jenen eigen ist, die jenen Gedanken des einen Gottes in Allem integral zu leben verstehen.

 

 

        Die Mutter am 25. Juni 1919,

nach dem Ende des ersten Weltkriegs 

 

 

 

 

 

O kraftgezwungne, schicksalsgetriebne Rasse,

O kleine Abenteurer in endloser Welt,

Gefangene erdenbürtigen Zwergmenschentums,

Wie lang wollt auf Geistes Schienen ihr weiterkreisen

Um euer winziges Ich und kleinliche Dinge ?

Ihr wart doch nicht für dauernde Winzigkeit

Und nicht für fruchtlose Wiederholung bestimmt;

Geschaffen ward ihr aus Stoff der Unsterblichkeit;

Euer Handeln kann rasch enthüllendes Schreiten sein,

euer Leben wachsender Götter formbar Gefäß.

Ein Seher, ein starker Schöpfer wohnt im Innern,

Das makellos Hohe sinnt über euern Tagen,

Natur hält Allvermögendes in den Zellen.

Ein größeres Schicksal wartet vorne auf euch,

Dies vergänglich irdische Wesen kann wenn es will

In überseiende Ordnung fügen sein Tun.

Das unwissend jetzt betrachtet die Welt um sich,

Erstanden kaum von der Nacht des Unbewußten,

Das Bilder anstarrt und nicht das Wahre erblickt,

Ihm kann unsterbliche Sicht die Augen füllen.

Doch wird in euern Herzen wachsen der Gott,

Erwachen werdet ihr in des Spirit Luft

Und brechen fühlen die Wände sterblichen Geists,

Die Botschaft hören die stumm ließ Lebens Gemüt

Und sehn durch Natur mit sonnerblickenden Lidern

Und Muschelhörner blasen am Ewigkeitstor.

Euch Urhebern hoher Erdwandlung ist vergönnt

Zu fahren durch gefährliche Seelenräume

Und wach die mächtige Mutter zu berühren,

Den Allgewaltgen zu treffen in Fleisches Haus

Und Dasein zum tausendleibig Einen zu machen.

 

Savitri, Book IV, Canto III

 

 

 

 

 

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