Das kommunistische Gesellschaftsprinzip steht grundsätzlich ebenso hoch über dem individualistischen wie Brüderlichkeit über Neid und gegenseitigem Gemetzel; aber alle in Europa ersonnenen praktischen Systeme von Sozialismus sind ein Joch, eine Tyrannei und ein Kerker.
Setzt sich Kommunismus je wieder erfolgreich auf Erden durch, so muss es auf einer Grundlage seelischer Brüderlichkeit und des Todes der Ichsucht sein. Erzwungene Vereinigung und mechanisches Genossentum würde in einem weltweiten Fiasko enden.
Brief von Sri Aurobindo vom 25. Januar 1935 über den russischen Kommunismus und die Spiritualität
Ich weiß, dass die Russen den derzeitigen Trend nach Spiritualität und Mystizismus für ein Phänomen der kapitalistischen Gesellschaft in ihrem Verfallsstadium halten. Aber bewusst oder unbewusst eine ökonomische Ursache in alle Phänomene der Menschheitsgeschichte hineinlesen zu wollen, ist ein Teil des auf Karl Marx' Trugschluss beruhenden bolschewistischen Evangeliums.
Die Natur des Menschen ist nicht ganz so einfach und weist mehr als eine Saite auf – sie hat viele Linien, und jede einzelne ruft ein Bedürfnis in unserem Leben hervor. Die spirituelle und mystische Linie ist eine von ihnen, und der Mensch versucht, sie auf verschiedene Weisen zu befriedigen, durch allen möglichen Aberglauben, durch unwissende Religiosität, Spiritismus, Dämonenglauben und vieles mehr; in seinen erleuchteteren Teilen durch eine spirituelle Philosophie, den höheren Okkultismus und alles übrige; in seinen höchsten Teilen durch die Vereinigung mit dem Ganzen, mit dem Ewigen oder Göttlichen.
In Europa begann die Tendenz zur Suche nach Spiritualität mit dem Überdruss am wissenschaftlichen Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts, einer Unzufriedenheit mit dem angeblichen Primat der Vernunft und des Intellekts und mit dem tastenden Suchen nach etwas Tieferem. Dies war ein Vorkriegsphänomen, das zu einer Zeit begann, als noch keine Bedrohung durch den Kommunismus bestand und die kapitalistische Welt auf der Höhe ihres anmaßenden Erfolgs und Triumphes stand, und es entsprang eher einer Revolte gegen das materialistische, bürgerliche Leben und seine Ideale, als dem Versuch, diesen zu dienen oder sie in den Himmel zu heben. Die dem Krieg folgende Desillusionierung diente und widersetzte sich ihm zugleich: widersetzte sich ihm, weil die Nachkriegswelt entweder in Zynismus und Sinneslust oder in Bewegungen wie den Faschismus und Kommunismus zurückfiel; diente ihm, weil in den tiefsten Geistern die Unzufriedenheit mit den Idealen der Vergangenheit oder der Gegenwart mit all ihren mentalen, vitalen oder materiellen Lösungen für das Problem des Lebens stetig wuchs und allein der spirituelle Weg übrigblieb.
Zwar tändelt der europäische Geist, der kein großes Wissen in diesen Dingen hat, mit vitalen Irrlichtern wie dem Spiritismus oder der Theosophie, oder er fällt in die alte Religiosität zurück, aber die tieferen Denker, von denen ich spreche, gehen entweder darüber hinaus, oder sie gehen auf der Suche nach einem größerem Licht durch sie hindurch. Ich stand mit vielen von ihnen in Kontakt, und die genannten Tendenzen sind sehr deutlich. Sie kommen aus allen Ländern – nur eine Minderheit stammte aus England oder Amerika.
Russland ist anders: ungleich den anderen verharrte es in einer mittelalterlichen Religiosität und machte keine Periode der Revolte durch – als die Revolte dann später kam, war sie natürlich antireligiös und atheistisch. Erst wenn diese Phase erschöpft ist, kann der russische Mystizismus wieder aufleben und anstelle des engen religiösen Wegs eine spirituelle Richtung nehmen. Allerdings hat ein umgekehrter Mystizismus den Bolschewismus und sein Bestreben eher zu einem Dogma als zu einem politischen Thema gemacht, zu einer Suche nach dem geheimnisvollen paradiesischen Jahrtausend auf Erden statt des Aufbaus einer rein sozialen Gesellschaft. Im allgemeinen aber versucht Russland auf kommunistischer Grundlage all dies zu verwirklichen, was der Idealismus des neunzehnten Jahrhunderts vergeblich zu erhalten hoffte, inmitten einer Welt industrieller Konkurrenz oder auch gegen sie. Ob er damit wirklich Erfolg haben wird, muss die Zukunft entscheiden – gegenwärtig klammert er sich mit unverminderter Spannkraft und gewaltsamer Kontrolle nur an das, was er hat.
Welch wunderbar klare Schau! So allumfassend, er vergisst nichts.
Jedes Wort ist voller Sinn ...
Die Dinge gehen jetzt schnell voran. Er sah ganz klar: es geht so, wie er sagte, jetzt geht es im Galopp voran.
Und die Amerikaner! ... Sie gaben vor, eine "Abrüstungskampagne" in Gang zu setzen, aber sie selbst sehen keine Möglichkeit dazu: Sie sind voller Angst und Mißtrauen. Ihre "Lösung" ist, Waffen an alle Welt zu verkaufen! (Mutter lacht) Mit der Idee, vor allem Geld zu verdienen, und dann "die Gleichheit herzustellen"! (24. Mai 1967)
***
Aus den Abendgesprächen, 25. Dezember 2938
Schüler: Besteht ein Unterschied zwischen Kommunismus und Nazismus?
Praktisch keiner. Die Nazis nennen sich Nationalsozialisten, wä rend die anderen bloße Sozialisten sind; im Kommunismus haben wir eine proletarische Regierung, und es gibt keine separaten Klassen. Die Nazis haben die Klassen bewahrt, nur sind sie alle an den Staat gebunden, alles steht unter Staatskontrolle, genauso wie im Kommunismus.
Aber der Kommunismus begann mit einem hohen Ideal, und er muss besser sein als der Faschismus oder der Nazismus.
Inwiefern besser? Früher waren die Leute unbewusste Sklaven, heutzutage, unter dem Kommunismus, sind sie bewusste Sklaven. Im früheren Regime konnten sie zum Streik greifen, wenn sie unzufrieden waren, heute können sie das nicht mehr. Die Hauptfrage lautet, ob die Leute Freiheit haben oder nicht. Aber sie sind an den Staat, den Diktator und die Partei gebunden. Sie können den Diktator nicht einmal wählen. Und wer immer von ihnen abweicht, wird gnadenlos unterdrückt. Man weiß, wie sie das tun.
Aber mit der Aufhebung des Klassenunterschieds herrscht heute vielleicht ein Sinn für Gleichheit unter allen – niemand ist überlegen oder unterlegen.
Wie das? Zuerst gingen die Führer, die Generäle und andere hin, um die Maschinen und die Industrieorganisationen in Russland zu betreiben. Aber sie fanden, es war nicht möglich; dann mussten sie Spezialisten einsetzen und sie gut bezahlen. Die Lage der Arbe terklasse in Russland ist nicht besser als die der ähnlichen Klassen in England oder Frankreich. Gewiss haben sie einige gute Sachen getan in Bezug auf Frauen und Kinder, auch was den medizinischen Beistand betrifft. Aber dies wurde in vielen Ländern, wie England und Frankreich, auch getan.
Warum sind Leute wie Romain Rolland so begeistert von Russland?
Wahrscheinlich, weil sie Sozialisten sind. Aber sie werden desillusioniert. Eine Menge französischer Arbeiter ging nach Russland und kehrte enttäuscht zurück. Dieselbe Sache geschah, als die Demokratie aufkam. Die Leute dachten, es würde viel Freiheit herrschen, aber sie fanden, es war eine Täuschung.
Aber früher dienten sie dem Kaiser, und jetzt dienen sie ihrem eigenen Volk.
Gewiss nicht – von wem hast du diese Idee? Der Kaiser hatte nichts mit der Regierung zu tun. Die kapitalistische Klasse regierte das Land. So ist es auch heute, welchen Namen man dem auch geben mag. Die ganze Sache – gleich wie sie heißt – ist ein Schwindel. Es ist unmöglich, die Menschheit durch die politische Maschinerie zu verändern – es kann nicht getan werden.
Wo stehen wie heute ...?
***
26. Mai 1967
Es geht um die Neujahrsbotschaft der Mutter:
MENSCHEN, NATIONEN, KONTINENTE! DIE WAHL IST ZWINGEND: DIE WAHRHEIT ODER DER ABGRUND.
Ein Schüler stellt Mutter folgende Frage: "Was verstehen Sie unter "Abgrund"?"
Gegenwärtig herrscht eine sehr große Spannung. Alle gebärden sich, als wollten sie einen Krieg anzetteln. Die Menschen legen in ihren internationalen Beziehungen eine blinde Leidenschaft an den Tag.
Am Ursprung von alldem liegt Angst, ein allgemeines Misstrauen und das, was sie für ihre "Interessen" halten (Geld, Geschäfte). Eine Kombination dieser drei Dinge. Wenn diese drei niedrigsten Leidenschaften in der Menschheit aufgerührt werden, nenne ich das den "Abgrund".
Wenn aber jemand beschlossen hat, sein Leben der Suche nach dem Göttlichen zu widmen – wenn er aufrichtig ist, das heißt, wenn sein Entschluss aufrichtig ist und sich aufrichtig in Handlungen umsetzt, gibt es absolut nichts zu befürchten, denn alles, was ihm geschieht oder geschehen wird, führt ihn auf dem kürzesten Weg zu dieser Verwirklichung.
Das ist die Antwort der Gnade. Die Menschen glauben, Gnade bedeute, dass alles in ihrem Leben leicht sein werde. Das ist nicht wahr!
Die Gnade arbeitet für die Verwirklichung der Aspiration, die man hat, und alles arrangiert sich so, dass man möglichst schnell und direkt zu dieser Verwirklichung gelangt – folglich gibt es nichts zu fürchten.
Die Angst entstammt der Unaufrichtigkeit. Wenn man ein bequemes Leben sucht, angenehme Umstände usw., dann stellt man Bedingungen und besteht auf Begrenzungen – und Angst kommt ins Spiel.
Das hat aber nichts mit Sadhana zu tun.
... zurück zu den Blogeinträgen