Die wirkliche Quelle dieser großen, doch in ihrer objektiven Tat so stark verunstalteten subjektiven Kraft lag nicht in Deutschlands Staatsmännern und Soldaten, die überwiegend recht armselige Typen waren, sondern in seinen großen Philosophen Kant, Hegel, Fichte, Nietzsche, in seinem großen Dichter und Denker Goethe, in seinen großen Musikern Beethoven und Wagner und vor allem in der deutschen Seele und Anlage, die diese verkörperten.
Sri Aurobindo
Der Zyklus der menschlichen Entwicklung
Das gleichnamige im MIRAPURI-Verlag erschienene Schriftwerk enthält Aussagen Sri Aurobindos zur sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit durch die Zeitalter. Er spannt den Bogen dabei über Vergangenheit und Gegenwart und eröffnet zugleich einen Ausblick in die Zukunft, wie dieses Miteinander auf der Basis einer spirituellen Entfaltung dessen gelingen kann, was wir in unserem Innersten sind.
Aufgrund der momentanen, sich zuspitzenden Ereignisse in unserem Land werden hier zwei Passagen herausgegriffen, in denen sich Sri Aurobindo auf das Ringen der deutschen Nationenseele um Entfaltung bezieht. Vielleicht können sie Anstoß sein, sich eingehender mit dem Gesamtwerk auseinanderzusetzen.
"Der große und bestimmte Faktor war das Beispiel und die Aggression Deutschlands. Beispiel, weil keine andere Nation so selbstbewusst, so methodisch und klug und, von außen gesehen, so erfolgreich bemüht war, sich zu finden, sich dynamisch zu formen, sich zu leben und das meiste aus seiner Wesensstärke zu erreichen. Aggression, weil die Natur selbst und die herausgestellten Schlagworte für den Angriff beim Angegriffenen ein Selbstbewusstsein in der Abwehr hervorrief und ihn zwang, die Quelle dieser riesigen Anstrengung wie die Notwendigkeit zu erkennen, bewusst in den gleichen Tiefenschichten eine erwidernde Kraft zu suchen.
Deutschland war in jener Zeit das bemerkenswerteste Beispiel einer Nation, die sich für die subjektive Stufe vorbereitete. Denn erstens war ihm eine Art Schau zu eigen – bedauerlicherweise mehr aus dem Verstand als der Erleuchtung – sowie der Mut, ihr zu folgen – unglücklicherweise wieder eher vital und intellektuell als geistig. Zweitens konnte es in der Meisterung seines Schicksals sein eigenes Leben so führen, dass es diese Selbst-Einsicht auch darzustellen vermochte.
Wir dürfen uns durch den äußeren Schein nicht zur Annahme verleiten lassen, dass Deutschlands Stärke von Bismarck geschaffen oder von Kaiser Wilhelm II. gelenkt wurde. Bismarcks Erscheinung war in vielerlei Hinsicht für die heranreifende Nation eher ein Unglück, da seine machtschwere Hand ihre Subjektivität zu früh zu Form und Tat zwang. Eine längere Zeit des Reifens hätte weniger verheerende Folgen für Deutschland gezeitigt, weil die Menschheit weniger gewaltsam von ihm gereizt worden wäre. Die wirkliche Quelle dieser großen, doch in ihrer objektiven Tat so stark verunstalteten subjektiven Kraft lag nicht in Deutschlands Staatsmännern und Soldaten, die überwiegend recht armselige Typen waren, sondern in seinen großen Philosophen Kant, Hegel, Fichte, Nietzsche, in seinem großen Dichter und Denker Goethe, in seinen großen Musikern Beethoven und Wagner und vor allem in der deutschen Seele und Anlage, die diese verkörperten. Eine Nation, deren größter Erfolg fast ausschließlich auf den beiden Gebieten Philosophie und Musik lag, ist klar dafür vorausbestimmt, zum Subjektivismus hinzuführen und wesentlich Gutes wie Böses in den Anfängen eines subjektiven Zeitalters auszulösen.
Dies war die eine Seite der Bestimmung Deutschlands. Die andere betrifft ihre Gelehrten, Lehrer, Wissenschaftler und Organisatoren. Diese Nation war schon lange für ihren Fleiß, ihre Zuverlässigkeit, ihren ehrlichen und sorgsamen Arbeitsgeist und die Treue zu ihren Ideen berühmt. Ein Volk mag in seinen subjektiven Fähigkeiten hochbegabt sein und kann doch ohne die Pflege dieser niederen Seite unserer vielfältig zusammengesetzten Natur versagen, jene Brücke zu bauen, die von Idee und Phantasie zur Welt der Tatsachen, von der Schau zur Durchsetzungskraft führt und allein die Verwirklichung ermöglicht. Seine höheren Fähigkeiten mögen die Welt erfreuen und begeistern, aber es wird nie in den Besitz seiner eigenen Welt gelangen, wenn es nicht auch seine untergeordnete Aufgabe gelernt hat.
In Deutschland war diese Brücke vorhanden, wenn sie auch meist durch einen dunklen Tunnel an einem steilen Abhang entlangführte. Denn es gab keine ungestörte Verbindung vom subjektiven Geist der Denker und Sänger zum objektiven der Gelehrten und Organisatoren. Beispielhaft hierfür ist Treitschkes falsche Anwendung von Nietzsches Lehren zu nationalem und internationalem Vorteil, die diesen Philosophen selbst angewidert hätte. Und doch war es noch eine Verbindung. Denn über ein halbes Jahrhundert bewahrte Deutschland zur Erforschung der Wahrheit des eigenen Seins und der Welt diese tiefe Einsicht in sich selbst wie in die Dinge und Ideen, und ein weiteres halbes Jahrhundert beharrte es in der geduldigen Schau der wissenschaftlichen Erforschung in die objektiven Möglichkeiten, um das zu organisieren, was es besaß oder zu besitzen glaubte. Und etwas war geschaffen, etwas Gewaltiges und Großes, wenn auch in gewissen, nicht in allen Richtungen missgeformt und verworren. Bedauerlicherweise aber waren es gerade die Hauptrichtungen, auf denen falsch zu gehen das Ziel verfehlen hieß.
Es sei aber betont, dass die letzte Folge dieses Etwas, das geschaffen wurde - Krieg, Zusammenbruch, heftige Reaktion gegen den starren, bewaffneten, aggressiven, furchtbaren Nazistaat - nicht nur sehr entmutigend ist, sondern auch eine deutliche Warnung, diesen Weg aufzugeben und auf ältere und sichere Wege zurückzugehen. Der Missbrauch großer Kräfte aber ist kein Beweis gegen die Möglichkeit ihres richtigen Gebrauchs. Es ist unmöglich, umzukehren. Solcher Versuch ist tatsächlich immer eine Täuschung. Wir müssen alle das gleiche tun, was Deutschland versucht hat, müssen uns aber davor hüten, dass wir nicht in gleicher Weise handeln. Darum müssen wir über die nebelhafte Düsternis des blutigen Krieges hinausblicken, hinaus über die finsteren Rauchschwaden der Verwirrung und des Chaos, die jetzt auf der Welt lasten, um Ursprung und Ursache der Fehler zu erkennen. Denn Deutschlands Versagen, das durch den Ausgang seiner Handlungen offenbar wurde und zum völligen Zusammenbruch führte, wurde auch dem nur die Wahrheit suchenden, leidenschaftslosen Denker klar.
Deutschland erfuhr, was manchmal den Suchenden auf dem Weg des Yoga, dieser Kunst des bewussten Selbst-Findens, geschieht, einem Weg, der viel größere als dem Durchschnittsmenschen bekannte Gefahren in sich birgt, wenn er einem Irrlicht zu seiner geistigen Vernichtung folgt. Es hatte sein vitales Ich für sein Wesen gehalten; es hatte seine Seele gesucht und nur seine Stärke entdeckt. Wie Asura hatte Deutschland zu sich selbst gesagt: »Ich bin mein Körper, mein Leben, mein Verstand, mein Temperament«, und hat sich mit titanischer Gewalt daran gebunden. Es hatte vor allem gesagt: »Ich bin mein Leben und mein Leib.« Einen größeren Fehler als diesen kann es weder für Mensch noch Nation geben. Das Selbst des Menschen und der Nation ist mehr und göttlicher als jene. Es ist größer als seine Werkzeuge und kann nicht in einer körperlichen, vitalen, durch Verstand und Temperament bedingten Form eingeengt werden. Eine solche Begrenzung kann – selbst wenn dieses falsche Gefüge in dem waffenstarrenden sozialen Gebilde eines riesigen kollektiven menschlichen Ungetüms verkörpert wird – das Wachstum der inneren Wirklichkeit nur zum Ersticken, Verfall oder Erlöschen bringen, das alles Ungeformte und nicht Angepaßte überfällt.
Es gibt offenbar einen falschen wie einen richtigen Subjektivismus; und die Irrtümer, denen die subjektive Richtung unterworfen sein kann, sind ebenso gewaltig wie ihre Möglichkeiten und können sehr leicht zu großem Unheil führen. Dieser Unterschied muss klar erkannt werden, soll der Weg dieser Stufe der sozialen Entwicklung für die Menschheit gesichert werden."
Unser Land ist Gott, die Mutter; sage nichts Schlechtes über sie,
es sei denn, du kannst es mit Liebe und Zärtlichkeit tun.
Zerbrich die Formen der Vergangenheit, aber bewahre ihre
Gewinne und ihren Geist; sonst hast du keine Zukunft.
"Wer aber war die beste, die fortgeschrittenste, die am meisten sich selbst verwirklichende, wirksamste, kultivierteste Nation, wenn nicht, wie allgemein zugegeben und auch nach Deutschlands eigener Auffassung, die deutsche selbst? Die Erfüllung des kollektiven deutschen Ich und die Sicherung seines Wachstums und seiner Herrschaft war sowohl das vernünftigste und rechtmäßigste Gesetz, das höchste Wohl der Menschheit, wie auch die Mission der größten und höchsten nordischen Rasse.
Aus dieser egoistischen Selbstbetrachtung entsprang eine Anzahl logischer Folgen, die jede in sich selbst ein subjektiver Irrtum war. Zuerst muss das Individuum als Zelle der Allgemeinheit sein Leben vollkommen dem schaffenden Leben der Nation unterstellen. Es muss zweifellos zum Handeln gebracht werden — und die Nation sollte auf seine Erziehung, seine richtigen Lebensbedingungen, seine Lebenszucht und eine sorgfältig geschulte und sich unterordnende Tätigkeit achten – aber als Teil der Maschine oder als geschultes Werkzeug des nationalen Lebens. Die Anregung muss bei dem Kollektiv, die Ausübung bei dem Individuum liegen.
Wo aber war dieses unbestimmte Ding, das Kollektiv, und wie konnte es sich ausdrücken, nicht nur als selbstbewusster, sondern organisierter und wirksamer kollektiver Wille und als selbstleitende Kraft? Der Staat war das Geheimnis. Ist der Staat vollkommen, beherrschend, alldurchdringend, allsehend, allbewirkend, dann allein kann das kollektive Ich konzentriert werden, sich selbst finden, und sein Leben zur höchsten Kraftentfaltung, Organisation und Wirksamkeit gesteigert werden. So erfand und begründete Deutschland den Kult des Staates und die wachsende Unterwerfung, die schließlich zur Vernichtung des Individuums führte. Als Gewinn entstand eine ungeheure kollektive Macht, eine bestimmte wissenschaftliche Vollkommenheit und ein allgemein hohes Niveau von wirtschaftlicher, intellektueller und sozialer Leistung, abgesehen von dem riesigen augenblicklichen Kräftezuwachs, den die glänzende Erfüllung einer großen Idee Mensch oder Nation gewährt.
Worin sein Verlust bestand, ist bisher nur undeutlich erkennbar – es ist all jenes tiefere Leben, jene Schau, intuitive Kraft, Macht der Persönlichkeit, Zartheit und Weite der Seele, die das freie Individuum als sein Geschenk der Rasse zubringt. Zum zweiten wird der Dienst am Staat, ist dieser der höchste Vertreter des Göttlichen oder die höchste Funktion des menschlichen Daseins und hat er ein göttliches Recht auf Gehorsam, auf den bedingungslosen Dienst und den ganzen Einsatz des Individuums, ebenso wie der Dienst an der Gemeinschaft zum einzigen und absoluten Moralgesetz. Innerhalb des Staatsgefüges mag dieses alle anderen Moralgesetze einschließen und gutheißen, da hier kein aufrührerischer Egoismus erlaubt wird, weil das Individuum entweder sein Ich im Staat aufgeben oder Teil von ihm werden muss und jede Möglichkeit eines offenen oder versteckten Krieges im Gehorsam für das kollektive, vom kollektiven Willen bestimmte Wohl aufgeben muss.
In Beziehung zu anderen Staaten und anderen kollektiven Einzelwesen aber besteht noch immer der Krieg als allgemeine Möglichkeit und tatsächliches Gesetz, der Kampf zwischen sehr unterschiedenen Einzelwesen, von denen jedes sich selbst zu erfüllen sucht und von den anderen auf seinem Gebiet beschränkt und festgehalten wird. Krieg also ist das ganze Anliegen des Staates in seiner Beziehung zu anderen, ein Krieg der Waffen, des Handels, der Ideen und Kulturen, ein Krieg kollektiver Persönlichkeiten, von denen jede die Welt für sich besitzen oder zumindest beherrschen will, um die erste in der Welt zu sein. Hier kann es außer der des Erfolgs keine Moral geben, wenn diese auch als nützliches Mittel der Kriegführung vorgeschoben wird. Der einzelne Deutsche in der Heimat wie im Ausland muss dem Staat, dem deutschen Kollektiv als dem größeren und wirklichen Staat dienen, wobei jeder Erfolg gerechtfertigt ist. Unfähigkeit, Untauglichkeit, Fehler sind die einzige Unmoral. Im Krieg ist alles gerechtfertigt, was zum militärischen Erfolg des Staates führt, im Frieden alles, was darauf vorbereitet. Denn Frieden zwischen den Nationen ist nur ein verdeckter Kriegszustand. Wie der Krieg das Mittel zu leiblichem Überleben und Herrschen, so ist der Handel jenes zum wirtschaftlichen Überleben und Herrschen. Es ist tatsächlich nur eine andere Art von Krieg, ein anderer Bezirk des Lebenskampfes; der eine im physischen, der andere im vitalen Bereich. Und Leben und Körper sind, so versichert uns die Wissenschaft, die Gesamtheit des Lebens.
Drittens: Da das Überleben des Besten das höchste Gut der Menschheit ist und dies Überleben durch Ausmerzen des Unfähigen und Anpassen des weniger Fähigen geschieht, war die Eroberung der Welt durch die deutsche Kultur der gerade Weg des menschlichen Fortschritts. Kultur aber ist in diesem Sinn nicht nur ein Zustand des Wissens oder ein System, ein Ausdruck von Ideen und moralischen wie ästhetischen Neigungen; Kultur ist von Ideen gelenktes Leben, die auf Lebenswahrheiten beruhen und so geordnet sind, dass sie diese zur höchsten Entfaltung bringen. Darum muss alles Leben, das zu dieser Kultur und Leistung nicht fähig ist, entfernt oder niedergetreten werden. Alles Leben, das dieser Kultur fähig ist, sie aber nicht tatsächlich erreicht, muss zu ihr emporgehoben und ihr angepasst werden. Fähigkeit aber ist immer eine Sache der Gattung und Art und in der Menschheit eine Frage der Rasse.
Logischerweise hielt sich also die deutsche Rasse für allein befähigt, und deshalb sollten alle anderen nordischen Rassen dem deutschen Kollektiv eingegliedert werden. Weniger fähige, wenn auch nicht ganz unfähige, sollten germanisiert werden, andere hoffnungslos dekadente, wie die lateinische Rasse in Europa und Amerika, oder von Natur unterlegenere wie die große Mehrzahl der Afrikaner und Asiaten sollten, wenn möglich, wie die Hereros ersetzt oder, wenn nicht möglich, beherrscht, ausgeplündert und ihrer Inferiorität entsprechend behandelt werden. So würde die Entwicklung voran- und die menschliche Rasse ihrer Vollkommenheit entgegengehen.
Wir dürfen nicht annehmen, dass alle Deutschen so kühn dachten, wie es lange nach außen schien, oder dass die Mehrzahl sich dies bewusst überlegte. Es genügt aber, dass eine kraftvolle Minderheit von Denkern und starken Persönlichkeiten sich des nationalen Lebens bemächtigen und ihm gewisse Richtungen aufprägen, so dass diese tatsächlich vorherrschen oder wenigstens eine allgemeine unbewusste Anziehung ausüben, auch wenn ein solcher Gedanke tatsächlich nicht bewusst ausgesprochen wird. Die wirklichen Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit scheinen zu zeigen, dass diese Lehre zum Teil bewusst, zum Teil unterbewusst oder halb ausgesprochen von der kollektiven deutschen Denkweise Besitz ergriffen hatte.
Es ist leicht, die Härte dieser schrecklichen Logik zu verhöhnen und ihr die geleugneten Ideen und Wahrheiten vorzuwerfen. Noch leichter ist es, mit Entsetzen, Furcht, Hass und Verachtung darauf zu antworten, während man praktisch selbst, nur mit weniger Offenheit, Eindringlichkeit und Mut, diesen Grundsätzen folgt. Nützlicher wäre es, dahinter die große dieser Bewegung zugrunde liegende Aufrichtigkeit zu sehen, die das Geheimnis ihrer Kraft ist, eine Art verkehrter Ehrlichkeit, die in ihren Irrtümern liegt – die Aufrichtigkeit, die gerade dem eigenen Verhalten und den Tatsachen des Lebens ins Auge zu sehen, die wirklichen Grundsätze dieses Verhaltens zu verkünden und nicht – von gelegentlicher Diplomatie abgesehen – andere mit Worten zu loben, in der Praxis aber zu missachten sucht. Soll dieses deutsche Ideal nicht nur vorübergehend auf dem Schlachtfeld und in der Kollektivperson der Nation oder der sich zu ihm bekennenden Nationen, wie dies durch den Krieg zu früh geschah, sondern auch im Bewusstsein des Menschen und der Menschheit besiegt werden, dann muss eine gleiche Aufrichtigkeit und eine weniger verkehrte Ehrlichkeit von denen geübt werden, die zu besserer Einsicht gelangten.
Diese deutsche Lehre hat offenbar zwei Seiten, eine innere und eine äußere, den Kult des Staates, der Nation oder Gemeinschaft und den Kult des internationalen Egoismus. Für den ersteren hat Deutschland, wenn es auch vorübergehend auf dem Schlachtfeld geschlagen wurde, im moralisch-menschlichen Sinn schon den Sieg davongetragen. Die heftige Abneigung gegen die dem Individuum vom Staat geleistete »Hilfe« - natürlich für sein und der Gemeinschaft Wohl, denn wer würde schon behaupten, er zwänge den anderen zu seinem Schaden? – herrscht fast überall vor oder wird zu einer stark vorherrschenden Meinung. Die Kämpfer für die individuelle Freiheit sind heute ein moralisch geschwächter und zusammengeschrumpfter Haufen, der nur noch in der Hoffnung auf einen späteren Umschlag oder auf die Rettung einer seiner Grundsätze vor dem Untergang weiterkämpfen kann.
Auf dem äußeren internationalen Feld geht der Kampf der Ideen, aber schon von Anfang an unter verhängnisvollen Vorzeichen, weiter. Heute können wir nach dem Ende des Krieges und seinen ersten psychologischen Ergebnissen schon die Richtung sehen, die der Strom wahrscheinlich nehmen wird. Krieg ist ein gefährlicher Lehrer, und Sieg im leiblichen führt häufig zu einer Niederlage im moralischen Bereich. Das im Krieg besiegte Deutschland hat den Nachkrieg gewonnen. Die strenger und heftiger wiedererstandene deutsche Lehre droht ganz Europa zu überschwemmen.
Wollen wir uns nicht betrügen, so müssen wir erkennen, dass Deutschland gewisse stark aktuelle Richtungen und Grundsätze internationalen Handelns in ein System brachte und jeden Widerstand, jede tatsächliche Änderung davon ausschloss. Soll ein heiliger Egoismus – und dieser Ausdruck stammt nicht aus nordischem Mund — internationale Beziehungen beherrschen, dann kann man die Kraft der deutschen Stellung nicht leugnen. Von anderen als von deutschen Denkern wurde die Theorie der schwachen und dekadenten Rassen laut verkündet und beherrschte mit mehr oder minder starken Bedenken die allgemeine Ausübung der militärischen Macht und wirtschaftlichen Ausnützung der Schwachen durch die Starken. Alles, was Deutschland tat, war der Versuch, diese stärker auszuweiten und härter durchzuführen und sie auf Europa wie auf asiatische und afrikanische Völker anzuwenden. Auch die Härte oder Brutalität seiner militärischen Methoden und der Mittel kolonialer oder innenpolitischer Erpressung war, selbst in ihrer schlimmsten Form — die, wie bezeugt und zugegeben, häufig von seinen Feinden willkürlich erlogen wurde —, eine Verdichtung gewisser neuer Bestrebungen, die manche alten Grausamkeiten des Mittelalters wieder aufleben ließen. Die Anwendung, selbst die Rechtfertigung von Mord und vielen anderen fürchterlichen Ausschreitungen im Krieg aufgrund militärischer Erfordernisse und wirtschaftlicher Ausbeutung oder aber als Unterdrückung von Aufstand und Unordnung, wurde jüngst auch in anderen Ländern des Kontinents festgestellt, ganz abgesehen von solchen außerhalb der Grenzen Europas.
Einerseits ist es gut, dass solch schreckliche Beispiele der äußersten Logik dieser Dinge der Menschheit zwangsweise vor Augen gestellt werden; denn das Entschleiern des Bösen zwingt das menschliche Gewissen aus seinem Unbeteiligtsein zur Wahl zwischen Gut und Böse. Wehe einer Rasse, wenn sie ihr Gewissen verblendet und ihren tierischen Egoismus mit den alten Rechtfertigungen verbrämt. Denn die Götter haben gezeigt, dass das Karma kein Scherz ist.
Die ganze Wurzel des deutschen Irrtums aber liegt in dem Fehler, Leben und Körper für das Selbst zu halten. Man hielt diese Lehre einfach für die Rückkehr zur Barbarei der alten Religion Odins. Aber das ist nicht die Wahrheit. Es ist eine neue und moderne Lehre, geboren aus der Anwendung einer metaphysischen Logik auf die Schlussfolgerungen materialistischer Wissenschaft, eines philosophischen Subjektivismus auf den objektiven pragmatischen Positivismus neuer Gedanken. Ebenso wie Deutschland die individualistische Haltung auf die Verwirklichung seines allgemeinen subjektiven Daseins anwendete, so gebrauchte es das moderne materialistische und vitalistische Denken und stattete es mit einer subjektivistischen Philosophie aus. So kam es zu einem falschen Glauben, einem objektiven Subjektivismus, der vom wahren Ziel eines subjektiven Zeitalters weit entfernt ist.
Um den Irrtum aufzuzeigen, ist es nötig, die wahre Individualität von Mensch und Nation zu erkennen. Diese liegt nicht in ihrem physischen, wirtschaftlichen, selbst nicht in ihrem kulturellen Leben, die nur Mittel und Möglichkeiten sind. Sie liegen in etwas Tieferem, dessen Wurzeln nicht im Ich ruhen, sondern in einem Selbst, dem Einen in allem Unterschiedlichen, das das Wohl eines jeden auf der Grundlage der Gleichheit und nicht von Kampf und Herrschaft mit dem Wohl der übrigen Welt verbindet."
Soll das subjektive Zeitalter der Menschheit seine besten Früchte tragen,
müssen sich die Nationen nicht nur ihrer eigenen, sondern auch der Seele der anderen bewusst werden und lernen, sich gegenseitig nicht nur wirtschaftlich und erkenntnismäßig, sondern auch
subjektiv und geistig zu achten, zu helfen und zu fördern.
Sri Aurobindo
Der Vorteil der Demokratie ist die Sicherheit des Lebens, der
Freiheit und der Güter des Individuums vor den Launen des
tyrannischen Einen oder der selbstsüchtigen Wenigen; das Schlechte an
ihr ist der Niedergang von Größe in der Menschheit.
Reaktionäre Gewalten vervollkommnen und beschleunigen den
Fortschritt, indem sie die Kraft in ihm steigern und läutern. Dies kann
die Menge der Schwachen nicht erkennen, die am Erreichen ihres
Hafens verzweifelt, wenn das Schiff hilflos vor dem Sturmwind flieht –
aber es flieht auf den hinter Regen und Wogen verborgenen Hafen zu,
den Gott für es vorgesehen hat.
Dies irrende Geschlecht von menschlichen Wesen träumt immer
davon, die Lebensumstände durch die Maschinerie von Regierung und
Gesellschaft zu perfektionieren; aber nur durch die Vervollkommnung
der Seele im Innern können die äußeren Lebensumstände
vervollkommnet werden. Was du im Innern bist, das wirst du außen
genießen; keine Maschinerie kann dich vom Gesetz deines Wesens
befreien.
Sri Aurobindo
Mutters Kommentar dazu:
Kein Gesetz und keine Regierung kann uns davor bewahren, im Leben den Folgen dessen zu begegnen, was wir sind.
Sei ausschließlich der Göttlichen Wahrheit hingegeben, und sie wird das Leben außerhalb aller Gesetze und menschlichen Regierungen lenken.